Seltene
Namen
Seltene und geheimnisvolle Siedlungsnamen
Neben den bisher beschriebenen Siedlungsnamen, die auf ein typisches Grundwort oder Suffix enden und in jeweils mindestens zwanzig Exemplaren{1}} auftreten, bergen die Urkunden bis zum Jahre 1200 natürlich noch einen großen Schatz weiterer Ortsnamen. Sie machen von den insgesamt 1907 Siedlungsnamen stattliche 500 aus, das sind etwas mehr als 26 Prozent.
Diese heterogene Gruppe spiegelt zu einem guten Teil die Individualität der Namengebung auf dem Gebiet des heutigen Landes Hessen wider. Daneben treten allerdings auch Typen von Siedlungsnamen in Erscheinung, deren Hauptverbreitung diesen Bereich nur am Rande betrifft.

Das gilt etwa für die -(h)lar-Namen (vgl. DITTMAIER 1963), die kelto-romanischen Bildungen auf -iacum oder die verhältnismäig jungen Siedlungsnamen auf -hofen. Während diese Typen recht gut erforscht sind, ist die Deutung einer anderen Gruppe von Siedlungsnamen auch und gerade in Hessen schwierig, teils gar unmöglich.
Relikte der Frühgeschichte
Es sind jene undurchsichtigen, meist einstämmigen Namen wie Besse, Kelze, Wabern und viele mehr. Sie stellen offenbar Relikte der Frühgeschichte dar, die trotz aller Spitzfindigkeiten kaum mehr zum Sprechen zu bringen sind (DNK Bd.2, §464).
Nach der methodischen Anlage der vorliegenden Untersuchung mußten all diese Siedlungsnamen unberücksichtigt bleiben. Dennoch war zu Beginn eine Durchsicht erforderlich, um die Grundlage für die statistische Auswertung zu schaffen. Darüber hinaus war es meine Absicht, die dominierenden typischen Siedlungsnamen im Kontext des gesamten Namenkleides zu betrachten. Daher wurden auch Hinweise für die Deutung dieser Namen gesammelt und erarbeitet.
Statistisch auffällig - aber warum?
Die seltenen und isolierten Siedlungsnamen bilden durch ihre Heterogenität eine Kontrollgruppe für die typologische Statistik und die Geographie der typischen Siedlungsnamen. Nach der Annahme, daß Namentypen ein räumliches und zeitliches Verbreitungsmuster aufweisen können, ergibt sich der Umkehrschluß, daß in einer Sammlung von Namen unterschiedlicher Qualität und Herkunft solche Muster unwahrscheinlich sind. Sie dürften sich, so die methodische Vermutung, nicht ergeben.
Es stellte sich jedoch heraus, daß auch diese Gruppe signifikante Häufigkeiten im Hinblick auf Belegzeit und Landschaften aufweist. Allerdings liegt diesen meßbaren Abweichungen sicher keine Form von typengebundener Produktivität zugrunde. Worauf beruhen also die Signifikanzen in der Gruppe der seltenen und isolierten Siedlungsnamen?
Im 12. Jahrhundert an den Rand gedrängt
Was die Belegzeit betrifft, so ist die signifikante Unterrepräsentation im zwölften Jahrhundert recht einfach zu erklären. Sie ist das direkte Ergebnis der in dieser Zeit stark zunehmenden schematischen Namenbildung. Die -berg, -hagen, - hausen, -inghausen, -rode und -sen (<-hausen) beherrschen mit ihren sehr zahlreichen Vertretern die Namengebung{2}}. Vom achten bis zum elften Jahrhundert weicht die Häufigkeit der weiteren Siedlungsnamen dagegen nicht von den Grenzen der Wahrscheinlichkeit ab.
Ersterwähnung seltener Siedlungsnamen bis zum Jahr 1200
8. Jh | 9. Jh | 10. Jh | 11. Jh | 12. Jh | |
---|---|---|---|---|---|
Anzahl | 108 | 61 | 46 | 101 | 178 |
Wahrscheinlichkeit des Auftretens (Z-Wert) | 1,7 | 0,7 | 0,9 | 0,3 | -2,2 |
Räumliche Verbreitung
Die landschaftliche Staffelung der Kontrollgruppe (Karte Nr.27) fordert zu einer differenzierten Betrachtung heraus. Die mit "Seltene und isolierte Siedlungsnamen" bezeichnete Gruppe ist signifikant häufig im Hochsauerland, in den Ostwaldecker Randsenken, im Rheingau und in der Westhessischen Senke.
Das Hochsauerland ist praktisch auszugrenzen, da es nur randlich in den Untersuchungsraum hineinreicht und im übrigen nur zwei Orte aufweist.
Der Rheingau gehört zu den unzweifelhaft früh besiedelten Gebieten, in denen sich die schematische Namengebung gar nicht erst entfalten konnte.
Die Westhessische Senke und die Ostwaldecker Randsenken lassen - schon wegen ihrer Nachbarschaft und Gröe - an andere Grundlagen denken. In Ostwaldeck sind der Frühtyp -ingen und der spätere Typ -hausen signifikant häufig. Der frühe Typ -dorf, - hausen und seine Nebenform auf -sen sowie die jungen Namen auf -berg sind in der Westhessischen Senke produktiv.
Ursprüngliche Namenschicht bleibt erkennbar
Alle diese Typen überlagern offenbar jene alte Namenschicht, die sich durch undurchsichtige Wörter, Simplicia und Zusammensetzungen sowie Ableitungen ältester Form auszeichnet. Es handelt sich also - soviel ist zu erkennen - um sehr alte Siedlungsräume, deren Ursprünglichkeit im Namenkleid trotz späterer Überformungen durch die schematische Namengebung deutlich nachweisbar bleibt.
Diese Sicht der Dinge bestätigt auch die Gegenprobe, welche aussagt, daß in spät besiedeltem, unwirtlichem Gebiet die Gruppe der weiteren Siedlungsnamen signifikant zurücktritt. Habichtswälder Bergland, Knüll- und Homberger Bergland, Ronneburger Hügelland, Unterer Vogelsberg sowie Vorder- und Kuppenrhön weisen in dieser Statistik negative Signifikanz auf.
Andere Verhältnisse am Rhein und in der Wetterau
Andererseits treten die seltenen und isolierten Siedlungsnamen in den Altsiedelgebieten am Rhein und in der Wetterau nicht besonders hervor. Dies mag damit zusammenhängen, daß die Frankonisierung der Namenlandschaft recht früh eingesetzt und den Schematismus des Namenkleides begründet hat (DNK Bd.2, §483ff).
Wo seltene Namen gehäuft vorkommen
Wenden wir uns nun wieder jenen Namen zu, deren Auftreten zur signifikanten Häufigkeit in den oben genannten Landschaften geführt hat. Die insgesamt 103 Orte und Wüstungen tragen Namen, die in ihrer Mehrzahl ein altertümliches Gepräge haben. So sind weniger als 50 Prozent von ihnen Zusammensetzungen oder Ableitungen während in allgemeinen Namensammlungen in der Regel 75 bis 80 Prozent in diese Kategorie gehören.
Dem stehen 48 Namen gegenüber, die entweder Simplicia sind oder aber nicht zu deuten. Besse, Böddiger, Giflitz, +Gran, Hümme, Kelze, Maden, Mandern, Mehlen, Metze, Rhöda, Rhünda, Ritte, +Schachten, +Selson, Singlis, Ulmes, Wabern, Wellen, Zennern und Zwesten bleiben undurchsichtig und deuten auf die Frühgeschichte der Chatten hin.
Sehr alte zweigliedrige Namen
Des weiteren treten in diesen Gebieten Bildungen auf -(h)lar, -mari, -loh, -ithi, -stein, -wih, -ahi, -iacum, -scuzzi und -tal auf, deren Mehrzahl wiederum längst als sehr alt beschrieben worden ist. Auch die übrigen Zusammensetzungen weisen in der Regel auf primäre Stellenbezeichnungen hin. Diese Charakteristik ist ebenfalls Hinweis auf hohes Alter.
Die seltenen und isolierten Siedlungsnamen sind in der Westhessischen Senke (343), in der Ostwaldecker Randsenke (341) und im Rheingau (236) sowie am Ostsauerländer Gebirgsrand (332) signifikant häufig vertreten.
{1} Von dieser Bedingung sind die Nebentypen auf -ingheim, -ingdorf, -inghausen, -ingerode sowie -sen (<-hausen) und -sem (<heim?) ausgeschlossen. (zurück zum Text)
{2} Soweit sich das durch die Ersterwähnung erkennen läßt.(zurück zum Text)