Die Namen
auf -ingen

Verbunden mit Personen und Sachen

Im Untersuchungsmaterial sind 35 Namen auf -ingen/-ungen enthalten. Davon leiten sich 19 von Personennamen ab, acht sind mit einem Appellativ (auch Flußnamen) gebildet. Die übrigen sind in Bezug auf die Qualität des Stammwortes nicht eindeutig zu bestimmen.

BACH schreibt:

Das Suffix -ing- [...] drückt eine Zugehörigkeit aus, und zwar die von Personen zu Personen, von Personen zu Sachen, von Sachen zu Personen, von Sachen zu Sachen. Mit -ing- werden sowohl Insassennamen wie auch Stellenbezeichnungen gebildet. In Süd- und Mitteldeutschland ist -ing- seit der ahd. Zeit weithin in lebendigem Gebrauch beeinträchtigt worden, im dt. Norden vielfach erst später. In Reliktgebieten hat es im Norden wie im Süden noch heute Lebenskraft [...] (DNK Bd.2, §196)

Insbesondere in Hessen und Thüringen erscheint die ablautende Form -ung- (DNK Bd.2, §197). Die Ablautvariante -ungen scheint dabei keiner Regelmäigkeit im Gebrauch zu unterliegen.{7}

BACH hat die Siedlungsnamen auf -ingen als ursprüngliche Insassenbezeichnungen gedeutet{8}, die im Laufe der Zeit häufig die eigentlichen Siedlungsnamen mit einem typischen Grundwort ersetzt haben.

Für diese These spricht es insbesondere, daß typische Siedlungsnamen auf -heim, -hausen, -rode und -dorf nicht selten in Kontamination mit diesem Suffix erscheinen (vgl. -heim, - dorf, -rode und -hausen). Im Untersuchungsmaterial ist -hausen mit 25 Belgen am häufigsten mit dem Suffix verbunden. Die -heim Namen bieten sieben Belege während -ingdorf und -ingerode Seltenheitswert haben. Allerdings hat LöFFLER (1987) dazu eine andere Deutung aufgestellt. Er schreibt:

Man ist allgemein der Auffassung, es handele sich hierbei um Zwischenformen zwischen den -ingen- und der - hofen-Schicht als zeitliche Übergangsform oder als Kompromiß: nicht mehr ganz -ingen und noch nicht bloß - hofen. (S.1343)

Anhand der St. Galler Urkunden ist er nun der Frage nachgegangen:

Um welchen Ortsnamen-Bildungstyp handelt es sich bei diesen -ing-Kontaminationen in sprachlicher, das heißt phonetisch-graphematischer und morphologisch-derivativer Hinsicht? (S.1344)

Das -ing-Suffix, so findet LöFFLER, sei im Ahd. als ein Äquivalent zum Zugehörigkeits-Genitiv verwendet worden. Er kommt zu dem Schluß, der Typus -inghofen sei kein besonderer Ortsnamentyp sondern eine Variante der -hofen-Namen:

Es handelt sich vielmehr um Parallelen oder Varianten zur sonst verbreiteten genetivischen Personennamen-Komposition. (S.1348)

Die reinen Ableitungen auf -ingen treten nach der Analyse der Erstbelegdaten im achten Jahrhundert massiert auf. Während ein relativ hohes Alter im Falle der -ingheim-Namen ebenfalls dokumentiert ist (zehntes Jahrhundert), erweisen sich die - inghausen-Namen als in ihrer Masse eher jünger als die sowieso erst im zehnten Jahrhundert massiert auftretenden -hausen. Ein anderes Grundwort wiederum, das ebenfalls als recht alt angesehen werden muß, wechselt im Fall von Bessingen mit dem Suffix -ingen. Der Ortsname lautete ursprünglich auf -stat.

In den ältesten Siedlungsgebieten gelegen

Die Ortsnamen auf -ingen sind in ihrer Gesamtverbreitung auf die ältesten Siedlungsgebiete bezogen. BACH erläutert dazu:

Die Verbreitung des -ing-Suffixes bei den verschiedensten Germanengruppen [...] und die günstige Lage [...] außerordentlich vieler -ing-Orte sprechen für das Alter des Typs. In Süddeutschland sind die mit PN gebildeten -ing- offenbar die älteren. Im Stammland des dt. Nordens hat man die von Appellativen gewonnenen und von Hause aus nur z.T. Insassennamen darstellenden als die älteren bezeichnet. Neben ihnen aber müssen dort zeitig auch mit PN gebildete ON auf -ing- aufgetreten sein. (DNK Bd.2, §579.4)

Auch SCHWARZ: "Man ist heute mit Recht geneigt, die Appellativa als ältere Schicht anzuerkennen..." (1943-52, S.223) billigt den Ableitungen von Appellativen gröeres Alter zu. Er betont allerdings, daß für jede Einzellandschaft spezielle Verhältnisse der -ingen vorliegen können - so daß die Altersbestimmung im Einzelfall durchaus auch erst im Mittelalter festzumachen sein kann.

Nicht ausschließlich alemannisch

Die ARNOLDSCHE These von der alemannischen Herkunft der -ingen-Orte hat sich im Lauf der Forschungsgeschichte in dieser Zugespitztheit nicht halten können. SCHWARZ (1943-52, S.223) relativiert daß zwar ein Zusammenhang zwischen -ingen und diesem Stamm erkennbar, jedoch nicht ausschließlich gültig sei. Für den Landkreis Gunzenhausen hat SCHUH die alemannisch-juthungische Herkunft der -ingen-Orte wiederholt{9}. Dies müsse keineswegs für alle -ingen gelten. Sie seien vom 4. Jh. bis ins 10. produktiv gewesen. Er führt auch siedlungsgeschichtliche Gründe dafür an, daß die -ingen zu den ältesten (4. Jh.) Orten seines Untersuchungsgebietes gehören.

Für Hessen dürfte GOCKELS Darstellung zutreffen:

Als zurückgebliebene Fußspuren wandernder Alamannenstämme werden die über das gesamte Kartenbild verstreuten Siedlungsnamen auf -ingen heute von keiner Seite mehr angesprochen. Im Unterschied zu den Vertretern dieses Typs in Süddeutschland, wo das Stammwort zumeist aus einem Personennamen besteht, sind die vielfach zu -ungen abgelauteten -ingen-Orte aus Hessen und Nassau überwiegend appellativische Bildungen [..]
[und]
Teilweise dürften die entsprechenden Ortsnamen wohl bis in die Zeit der ersten germanischen Landnahme zurückreichen. Sie wurden aber auch im 17. Jh. noch vereinzelt bei Neugründungen verwandt, [...] (1984a, S.187)

Ersterwähnung von Namen auf -ingen bis zum Jahr 1200

8. Jh9. Jh10. Jh11. Jh12. Jh
Anzahl145286
Wahrscheinlichkeit

des Auftretens (Z-Wert)

2,90,5-0,50,4-2,2

Die landschaftliche Verteilung der -ingen (Karte s.o.) ist recht klar umrissen{10}. Alle Vorkommen liegen in räumlichem Zusammenhang, geographisch isoliert ist kaum ein Beleg. Allerdings ist das Auftreten auch nicht als 'dicht gedrängt' zu beschreiben. Die -ingen ziehen sich auf einer Nord-Süd-Linie längs durch das heutige Hessen. Die Warburger Börde stellt den nördlichen -ingen Komplex. Dieser setzt sich mit Belegen in den Ostwaldecker Randsenken, dem Salzunger Werrabergland und dem Büdinger Wald fort. Außerdem sind die Idsteiner Senke, die Untermainebene und das Messeler Hügelland Heimstätten der -ingen Orte. In jedem der genannten Gebiete ist das Auftreten der -ingen statistisch signifikant.


{7} Vgl. DNK (Bd.2, §196 bis 215, 578 bis 580); Munske (1964); Rosenfeld (1958b, S.190-201). Zu den -ing-Namen erläutert er die Vermutung, daß -ing- jünger sei als -ung- und beschreibt, warum in der Kompositionsfuge -n-stämmige Namen ohne -en auftreten (S.198ff). Eine statistische Analyse von -ing-Varianten und ihren Schreibungen gibt Esser (1973, S.78-87). Vgl. auch DNF (Bd.2, §45).(zurück zum Text)

{8} "Im Gegensatz zu F.Steinbach [....] nehme ich an, daß die -ing-Namen auch im dt. Süden bis in die ahd. Zeit [...] Insassennamen darstellten. Steinbach spricht bereits die Bildungen der Wanderzeit als sekundäre Siedlungsnamen an" (DNK Bd.2, §579.4).(zurück zum Text)

{9} : "[..] in der Zeit der alemannisch-juthungischen Landnahme entstanden" (HONBBay Bd.5, S.63).(zurück zum Text)

{10} "Ein sehr großer Teil der dt. -ing-Orte liegt auf bestem Boden [...] und in günstiger waldfreier Lage" (DNK Bd.2, §578.2). Sie sind weithin etwa gleichaltrig mit den -heim-Orten.; Vgl. auch Debus 1968, S.46ff und 1966, S.20f.(zurück zum Text