Die Namen
auf -hausen

Zuhause in Hessen

Das Grundwort -hausen gilt ähnlich wie -heim und -dorf selbst im umgangssprachlichen Ausdruck als Synonym für Siedlung schlechthin. Warum dies so ist, begründet unter anderem das massenhafte Vorkommen der Vertreter dieses Typs in Hessen. Im Zeitraum der Untersuchung treten auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen nicht weniger als 297 Namen auf, die mit ahd. mhd. hûs 'Haus' im Dativ Plural zusammengesetzt sind (DNK Bd.2, §608). Dazu kommen noch die verschliffenen Formen auf - sen < -hûsun mit 29 und die Mischformen auf -inghausen mit 25 Vertretern. Nicht einmal die ebenfalls recht oft bezeugten - bach-Namen (231) können damit konkurrieren.

Die überwältigende Mehrzahl der -hausen-Orte trägt einen Personennamen im Bestimmungsglied (243). Nur 39 Mal begegnen Appellative als Bestimmmungswörter, neun Namen sind Simplicia. Dabei scheinen die appellativischen -hausen einen Frühtyp zu bilden, der nicht von der Namenmode{2} sondern von der ursprünglichen Wortbedeutung geprägt ist.

Eine beachtliche Zahl von Personennamen kommt mehrfach als Bestimmungsglied vor. Hier eine grobe Übersicht: Albold (3), Alfolt (2), Baldheri (2), Bato, Batto, Betto (zusammen 6), Benno (2), Brunger (2), Dodo, Dudo (zusammen 4), Her(e)bold, -t (2), Hild(e)ger (2), Hrod(e)bert (2), Hro(u)dmar, -t- (2), Hunold, -t (2), Regenher, -gi- (2), Reging(a)oz (2), Solio, -a (2), Udo, -t- (4), Volcmar (3), Winimar (2), Wan(o) (2) und Widerolt (3). Insgesamt überwiegen die zweigliedrigen Namen bei weitem die Kurznamen.

Unter den relativ wenigen appellativischen stechen die zahlreichen Namen mit ahd., mhd. holz 'Holz, Wald' (12) als Bestimmungsglied ins Auge. Weiter tritt ahd. biscof 'Bischof' (3), mhd. ûf 'auf' (2) und ahd. frono mhd. vrone 'herrschaftlich' (2) mehrfach in Erscheinung.

Die Verbreitung der -hausen im Untersuchungsgebiet{3} hat ihren Schwerpunkt im nördlichen Landesteil. Ohne ARNOLDS Stammestheorien wieder hervorzuholen scheint doch gewiß, daß die - hausen-Namen in räumlicher Opposition zu den -heim-Namen des Südens stehen. Nördlich einer gedachten Linie zwischen Biedenkopf und Bad Hersfeld beherrschen die -hausen-Namen die Landschaft zur Gänze. Sie reichen unter Abschwächung ihrer Dominanz bis ins Limburger Becken, das Marburg-Gießener Lahntal, den vorderen und hohen Vogelsberg und in das Fulda-Haune-Tafelland. Die Oberhessische Schwelle schert aus diesem Befund aus. Hier tritt -hausen gegenüber den -rode-Namen sowie den sonstigen Siedlungsnamen etwas zurück. Insbesondere Habichtswälder Bergland, Ostwaldecker Randsenken, Salzunger Werrabergland, Solling-, Bram- und Reinhardswald sowie Unteres Werratal und Westhessische Senke sind mit -hausen-Vorkommen signifikant. Main-Taunus-Vorland, Vorderer Odenwald und Wetterau sind ausgespart, d.h. negativ signifikant{4}.

Die Aufgliederung der -hausen-Orte nach ihrer Erstbelegzeit{5} macht deutlich, daß die Namen dieses Typs sich wie eine Welle vom Norden nach Mittelhessen vorgeschoben haben. Unterstützung erfährt diese Nord-Süd Bewegung von Namen auf -hausen, die im fuldischen Bereich sowie an der mittleren bis oberen Lahn auftreten (vgl. DEBUS 1968, S.53ff).

Nach der statistischen Analyse der Erstbelegdaten ergibt sich, daß -hausen kein Typ der frühesten Zeit ist. Im achten Jahrhundert ist der Typ eindeutig unterrepräsentiert, die Statistik weist negative Signifikanz auf. Seit dem neunten Jahrhundert tauchen - hausen-Namen der Gröe ihrer Gruppe entsprechend oft auf. Einen kräftigen Produktivitätsschub erfahren sie im zehnten Jahrhundert und sind nochmals stark massiert im zwölften Jahrhundert.

Ersterwähnung von Namen auf -hausen bis zum Jahr 1200

8. Jh9. Jh10. Jh11. Jh12. Jh
Anzahl22303566142
Wahrscheinlichkeit

des Auftretens (Z-Wert)

-4,9-0,72,411,9

Dieser Befund paßt nicht zu den bisher in der Literatur genannten Datierungen{6}, die für die Masse der -hausen als Entstehungszeit das 8. und 9. Jahrhundert ansetzen. Die Begründungen für diesen Ansatz gehen von einer Reihe von Einzelargumenten aus. Das im allgemeinen wohl entscheidende hat FLECHSIG (1953/54, S.276f) recht klar herausgearbeitet. Es ist die Annahme, daß ein Namentyp als solcher vorhanden sei, wenn die ersten Belege für eine solche Bildung in den Urkunden auftreten. Dem muß entgegengehalten werden, daß mit "frühen Vorläufern und [...] späten Nachzüglern" (DNK Bd.2, §470) zu rechnen ist, der Typ als Massenerscheinung jedoch zeitlich in erheblich engeren Grenzen produktiv ist.

Die in dieser Untersuchung vorgenommene statistische Bewertung der Erstbelegdaten weist den frühen -hausen-Vorkommen die Funktion der Vorläufer zu. Allerdings ist dieses Ergebnis nicht absolut zu nehmen, da die Erstbelegdaten bekanntermaßen nur gelegentlich mit der Gründungszeit der Orte identisch sind. Es wäre also durchaus denkbar, daß durch nähere besitzgeschichtliche und genealogische Untersuchungen einzelner Namentypen die Zeitspanne bestimmt werden kann, die im allgemeinen zwischen den Ortsgründungen und den urkundlich belegten Traditionen liegt. Diese wäre dann sozusagen als Korrekturfaktor von dem statistischen Ergebnis der vorliegenden Untersuchung abzuziehen.

Rodungssiedlungen des Adels

Ein Beispiel für eine solche Arbeit hat im Anschluß an BOSL (1969) PUCHNER (1962/64) für die -hausen-Namen insbesondere aus der Fuldaer Überlieferung für Unterfranken gegeben. Er kam dabei zu folgendem Ergebnis:

1. Die ON auf -hausen mit PN sind in der Zeit von etwa 750/780 entstanden als Namen für Rodungssiedlungen einer (hoch- und niederadeligen) Grundherrenschicht. Die zugrundeliegenden PN lassen sich zum gröten Teil in den gleichzeitigen Fuldaer und Würzburger Quellen, vereinzelt noch am Ort selbst oder in seiner Umgebung, nachweisen.
2. Unter den nicht mit PN zusammengesetzten ON auf -hausen hebt sich deutlich eine ältere Gruppe mit Bestimmungswörtern ab, die anderwärts typisch für die schematische Ortsnamengebung der fränkischen Reichskolonisation sind. Ihre Entstehungszeit ist das 8. und 9. Jh. Eine jüngere Gruppe sind die einfachen Hausen, z.T. erst später differenziert, und Zusammensetzungen mit neu-, Burg-, Holz- usw. Es handelt sich hier um Ausbausiedlungen des 11./12. Jhs.
(S.10)

In unserem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß PUCHNERS Ergebnisse über den Vermittlungsschritt der Genealogie ebenfalls die urkundliche Überlieferung der -hausen-Namen widerspiegeln. Und dies ausschließlich bezogen auf diesen Namentyp, während die vorliegende Untersuchung aus der methodischen Anlage heraus die -hausen nur als Teil der Gesamtüberlieferung sieht.

Zweifel am hohen Alter

BACH bezeichnet die -hausen als frühe Namenschicht, die jedoch nicht in die gemeingermanische Frühzeit zurückreichen dürfte (DNK Bd.2, §608.2). Insbesondere in Hessen sind die -hausen seiner Darstellung nach alt, da sie die -heim und -ingen des Südens ersetzen. Dies stimmt räumlich gewiß, muß allerdings in Bezug auf die zeitliche Entfaltung in Zweifel gezogen werden.

Namenvarianten auf -sen und -inghausen

Zwei Varianten des Grundwortes gilt es noch vorzustellen: die verkürzten Formen auf -sen und die erweiterten Formen auf - inghausen. Während ersteres eine Schwunderscheinung darstellt, ist letzteres möglicherweise eine Kontaminationsform zwischen einer Siedlungsbzeichnung auf -hausen und einer Insassenbezeichnung auf -ingen (DNK Bd.2, §§608, 675.2). Beide Untergruppen haben im Bestimmungsglied ausschließlich Personennamen.

Beide Varianten treten im Norden Hessens in dicht gedrängter Lage (Karten 13 bis 15) auf. Die 25 -inghausen liegen im Waldecker Tafelland, im Kellerwald und am Ostsauerländer Gebirgsrand. In der statistischen Analyse der Erstbelegdaten haben die -inghausen nach dem vorliegenden Material ihre Produktivitätsphase im 12. Jahrhundert{7}.

Zu den mit -ing- erweiterten typischen Siedlungsnamen hat LöFFLER (1987) jüngst eine Untersuchung anhand der St.Galler Urkunden vorgelegt. Er kommt darin zu dem Ergebnis, daß

[...] die -inghofen keinen besonderen Ortsnamen-Typus darstellen, sondern als Variante der -hofen-Namen anzusehen sind. Sie sind vor allem nicht zu den -ingen- Ortsnamen zu stellen, weder nach der Wortbildung noch der Siedlungsstufe nach. Es handelt sich vielmehr um Parallelen oder Varianten zur sonst verbreiteten genetivischen Personennamen-Komposition. -inghofen sind also weder Kontaminationsform zwischen -ingen und -hofen noch Ausgleichs- oder Additionsformen in Grenzlagerung zwischen -ingen und -hofen-Verbreitungsgebieten oder eine sonstige Kompromißform zwischen Einwohner- und Zugehörigkeitsbezeichnung. Es ist eine sprachliche Variation desselben Typus -hofen, bei dem das personale Bestimmungswort einmal genetivisch, einmal durch das attribuierende -ing-Suffix ausgedrückt werden kann. (S.1348)

Unter den 29 Namen mit verkürztem -sen (aus -hausen) befindet sich einer, bei dem das Grundwort als (wahrscheinlich verschriebenes) -heim auftritt (Volkmarsen). Die geographische Lagerung (Karte Nr.15) ähnelt der der -inghausen, ist jedoch etwas nach Osten verschoben. Waldecker Tafelland, Ostwaldecker Randsenken, Warburger Börde, Habichtswälder Bergland und Solling sind die Landschaften, in denen die -sen dicht zusammenliegen.

Ihr Alter weicht nach dem ausgewerteten Material für Hessen nicht von dem der -inghausen ab. Sie treten ebenfalls im zwölften Jahrhundert massiert auf. MöLLER (1986) datiert ihre Entstehung im angrenzenden Niedersachsen jedoch vor das 8./9.Jh., da zu dieser Zeit die für die Abschwächung des Zweitgliedes nötige Betonung auf dem Erstglied noch gültig war (S.328).

Die Nebenformen -sen und -inghausen stellen in Hessen Ausläufer wesentlich gröerer Namengebiete in Westfalen und Niedersachsen dar. Möglicherweise klaffen auch deshalb die Datierungen derart weit auseinander.


{2} "onomastisches Ableitungselement" nennt es Fleischer 1969, S.185. (zurück zum Text)

{3} s. Karte Nr.13. (zurück zum Text)

{4} Vgl. Tabelle "-hausen-Namen in Landschaften" auf Seite 69. (zurück zum Text)

{5} s. Karte, Nr.13. (zurück zum Text)

{6} DNK Bd.2, §608.2: "ältere Ausbauzeit"; HONBBay Bd.5, S.112: "2. Hälfte 8.Jh. bis ca. 10.Jh."; DNF Bd.2, §49: "Blüte im 9. bis 11. Jh."; Debus 1968, S.54: "8. u. 9. Jh."; Gockel 1984a, S.187f: "karolingerzeitlicher Landesausbau"; Flechsig 1953/54, S.277: "8. Jh. bis gegen 1100"; Christmann, Die Siedlungsnamen der Pfalz Teil 3, S.79: "späteres 8. Jh. bis 13./14.Jh." (zurück zum Text)

{7} Dittmaier (1953, S.112) rückt die westfälischen Namen auf -inghausen ins 7./8. Jh.; Darin folgt ihm offenbar Gockel (1984a, S.188) auch für das waldeckische Gebiet. (zurück zum Text)