Kapitel
7. Die landschaftliche Gliederung
Voraussetzung für die möglichst exakte Beschreibung der geographischen Verteilung der Siedlungsnamen ist die Grundkarte (Nr.1), die allen untersuchten Siedlungsnamen einen Ortspunkt zuweist, es sei denn, daß eine sichere Lokalisierung nicht möglich ist.
Allerdings ist dies bei weitem nicht hinreichend, um den komplexen Zusammenhängen von Siedlung und Landschaft gerecht zu werden. Wo aber soll eine germanistische Untersuchung in diesem Zusammenhang anfangen, wo soll sie enden? Eine Fülle von einzelnen Phänomenen bietet sich dazu an: Höhenlinien, das Gewässernetz, historische Straßenverläufe, Boden- und Klimaqualitäten und vieles andere mehr. Indessen ist es im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich, herauszufinden, welche Kriterien denn nun von gröerer oder geringerer Bedeutung für die Besiedelung gewesen sein könnten. Eines steht jedoch fest: entscheidend ist die naturräumliche Ausstattung des Landes. Wir können ohne Frage davon ausgehen, daß die Menschen im achten bis zwölften Jahrhundert oder früher vor allem die Gunst oder Ungunst der Natur für ihre Handlungen beachten mußten.
In dieser Situation bot sich für die vorliegende Untersuchung der Rückgriff auf die Karte der naturräumlichen Gliederung Deutschlands aus dem Handbuch der naturräumlichen Gliederung Deutschlands an. Sie teilt unter anderem das heutige Bundesland Hessen in Landschaften und Teillandschaften aufgrund der physisch-geographischen Gegebenheiten auf. Im Begleitband erläutern die zuständigen Geographen , welche Gegebenheiten vorliegen und in welcher Weise sie für die Kartierung verwendet wurden. Es führt an dieser Stelle zu weit, diese Angaben zu referieren{18}. Karte Nr.2 gibt die Landschaften in Hessen wieder. Der Landschaftsschlüssel folgt hier.
NATURRÄUMLICHE GLIEDERUNG VON HESSEN
LANDSCHAFTSSCHLüSSEL
14 | Odenwald, Spessart und Südrhön |
141 | Sandsteinspessart |
143 | Büdinger Wald |
144 | Sandsteinodenwald |
145 | Vorderer Odenwald |
22 | Nördliches Oberrheintiefland |
222 | Nördliche Oberrhein- Niederung |
225 | Hessische Rheinebene |
226 | Bergstrasse |
23 | Rhein-Main-Tiefland |
230 | Messeler Hügelland |
231 | Reinheimer Hügelland |
232 | Untermain Ebene |
233 | Ronneburger Hügelland |
234 | Wetterau |
235 | Main-Taunus Vorland |
236 | Rheingau |
30 | Taunus |
300 | Vortaunus |
301 | Hoher Taunus |
302 | Östlicher Hintertaunus |
303 | Idsteiner Senke |
304 | Westlicher Hintertaunus |
31 | Lahntal |
311 | Limburger Becken |
312 | Weilburger Lahntal |
32 | Westerwald |
320 | Gladenbacher Bergland |
321 | Dilltal |
323 | Oberwesterwald |
33 | Bergisch-Sauerländisches Gebirge |
332 | Ostsauerländer Gebirgsrand |
333 | Hochsauerland (Rothaargebirge) |
34 | Westhessisches Bergland |
340 | Waldecker Tafelland |
341 | Ostwaldecker Randsenken |
342 | Habichtswälder Bergland |
343 | Westhessische Senke |
344 | Kellerwald |
345 | Burgwald |
346 | Oberhessische Schwelle |
347 | Amöneburger Becken |
348 | Marburg-Giessener Lahntal |
349 | Vorderer Vogelsberg |
35 | Osthessisches Bergland |
350 | Unterer Vogelsberg |
351 | Hoher Vogelsberg |
352 | Fuldaer Senke |
353 | Vorder- und Kuppenrhön |
354 | Lange Rhön |
355 | Fulda-Haune Tafelland |
356 | Knüll- und Homberger Bergland |
357 | Fulda-Werra Bergland |
358 | Unteres Werratal |
359 | Salzunger Werrabergland |
36 | Oberes Weserbergland |
360 | Warburger Börde |
37 | Weser-Leine-Bergland |
370 | Solling, Bram- und Reinhardtswald |
47/48 | Thüringer Becken und Randplatten |
483 | Ringgau |
HESSISCHE LANDSCHAFTEN
und ihre Schlüsselnummern
Amöneburger Becken | 347 |
Bergstrasse | 226 |
Burgwald | 345 |
Büdinger Wald | 143 |
Dilltal | 321 |
Fulda-Haune Tafelland | 355 |
Fulda-Werra Bergland | 357 |
Fuldaer Senke | 352 |
Gladenbacher Bergland | 320 |
Habichtswälder Bergland | 342 |
Hessische Rheinebene | 225 |
Hochsauerland (Rothaargebirge) | 333 |
Hoher Taunus | 301 |
Hoher Vogelsberg | 351 |
Idsteiner Senke | 303 |
Kellerwald | 344 |
Knüll- und Homberger Bergland | 356 |
Lange Rhön | 354 |
Limburger Becken | 311 |
Main-Taunus Vorland | 235 |
Marburg-Giessener Lahntal | 348 |
Messeler Hügelland | 230 |
Nördliche Oberrhein-Niederung | 222 |
Oberhessische Schwelle | 346 |
Oberwesterwald | 323 |
Ostsauerländer Gebirgsrand | 332 |
Ostwaldecker Randsenken | 341 |
Östlicher Hintertaunus | 302 |
Rheingau | 236 |
Reinheimer Hügelland | 231 |
Ringgau | 483 |
Ronneburger Hügelland | 233 |
Salzunger Werrabergland | 359 |
Sandsteinodenwald | 144 |
Sandsteinspessart | 141 |
Solling, Bram- und Reinhardtswald | 370 |
Unterer Vogelsberg | 350 |
Unteres Werratal | 358 |
Untermain Ebene | 232 |
Vorder- und Kuppenrhön | 353 |
Vorderer Odenwald | 145 |
Vorderer Vogelsberg | 349 |
Vortaunus | 300 |
Waldecker Tafelland | 340 |
Warburger Börde | 360 |
Weilburger Lahntal | 312 |
Westhessische Senke | 343 |
Westlicher Hintertaunus | 304 |
Wetterau | 234 |
Auf der Grundlage dieser Karte der naturräumlichen Gliederung Hessens (Nr.2) folgt nun die Beschreibung der geographischen Staffelung der Siedlungsnamen bis zum Jahre 1200. Es hat sich im Lauf der Untersuchung gezeigt, daß die Übereinstimmung zwischen den Grenzen der Naturräume und der Verbreitung der Namentypen geradezu ins Auge springt. Diese Erscheinung, die sich in der Kombination der Verbreitungskarten für die Namentypen mit der naturräumlichen Grundkarte offenbart, ist in mehrerer Hinsicht bedeutsam.
Zum einen bestätigt sie, daß die natürliche Ausstattung des Landes in der Tat als eine entscheidende Grundlage der Siedlungsentwicklung zu gelten hat - wenn dies auch kaum ernsthaft bestritten worden ist, so ist es doch eine zusätzliche Bestätigung -, zum anderen bestätigt sie, daß die Namentypen im allgemeinen sowie ihre historische Entfaltung im besonderen Ausdruck von Namenmoden sind. Sprachlich gesehen drücken sie das Vorhandensein einer wie auch immer näher zu beschreibenden Kulturgemeinschaft aus. Sie werfen außerdem ein Schlaglicht darauf, daß unterschiedlich ausgestattete Naturräume zu unterschiedlichen Zeiten in gröerem Maßstab für Siedlungszwecke genutzt worden sind. So jedenfalls lät sich die Korrelation zwischen Naturlandschaften und Namengeographie erklären.
Es stellt sich nun zunächst die Frage, wie eine allgemeine Übersicht über die Verbreitung der Siedlungsnamen-Typen in unserem Untersuchungsgebiet zu gewinnen ist. Eine Möglichkeit wäre, jeden Beleg für einen Namentyp mit einer Signatur zu versehen und auf der Grundkarte einzutragen. Aus dem Kartenbild müte dann die Lagerung der Typen hervorgehen. Allerdings hat dieses Vorgehen einen Nachteil, der sich eindrucksvoll an den beiden Namenkarten von DEBUS zeigen lät, die im Geschichtlichen Atlas von Hessen (Karten 28a und 28b) enthalten sind. Die Vielfalt der Einzelbelege lät dem Betrachter keine Möglichkeit, den Überblick zu gewinnen und zu behalten.
Offenbar lassen sich Namenlandschaften auf diese Weise nur bedingt darstellen. Beschränkt man sich wiederum auf die Verbreitung eines einzelnen Namentyps, begibt man sich der Möglichkeit, eine Gesamtsicht zu bekommen. Doch geht es zunächst nur darum, aufzuzeigen, wie sich die Namentypen im Untersuchungsgebiet schwerpunktmäig verteilen. Ein einfaches Mittel, zu einer aussagefähigen und dennoch übersichtlichen Karte zu gelangen, ist die Betrachtung der jeweils überwiegenden Namentypen. Bezogen auf die Naturlandschaften Hessens wird so immer nur derjenige Typ kartiert, der in einem Gebiet die zahlenmäige Mehrheit hat. Sind verschiedene Typen gleich häufig vertreten, bleibt die betreffende Landschaft ohne Signatur.{19} Damit die Karte sich nicht in Einzelheiten verliert, sind Gebiete mit weniger als zehn Belegen nicht aufgenommen worden.
Die Karte "Häufigste Namentypen in Naturlandschaften im 12. Jahrhundert" (Nr.7) ist, nimmt man alle lokalisierbaren Belege aus dem Untersuchungsmaterial, ein synchronischer Schnitt der Situation Ende des 12. Jahrhunderts. Anhand der Belegzeiten lät sich dieser ebenfalls für das 8., 9., 10. und 11. Jahrhundert anfertigen. Die daraus resultierenden fünf Karten (Nrr. 3 bis 7) geben den Blick auf eine historische Entwicklung frei - deren Basis die Datierung der überlieferten schriftlichen Quellen ist.
Im achten Jahrhundert (Karte Nr.3) beherrschen die -heim- Namen sowohl die Nördliche Oberrhein-Niederung als auch die Hessische Rheinebene, die Untermain-Ebene, das Main-Taunus- Vorland und die Wetterau, den Unteren Vogelsberg und das Marburg-Gießener Lahntal. Bis auf -dorf, das im Gladenbacher Bergland eine Hochburg hat, und zwei -burg-Namen, die mangels weiterer Quellen die Oberhand in der Westhessischen Senke haben, ist -heim der einzige "produktive" primäre Siedlungsnamentyp. Daneben zeigen sich primäre Stellenbezeichnungen auf -bach im Vorderen Odenwald und im Taunus als prägender Typ. Im Sandsteinspessart, Hohen Vogelsberg und im Burgwald herrschen von Gewässernamen auf - aha abgeleitete Siedlungsnamen vor. Vorder- und Kuppenrhön sowie Ostsauerländer Gebirgsrand sind vorwiegend mit Siedlungsnamen auf -feld ausgestattet.
Ein neues Bild liefert das neunte Jahrhundert (Karte Nr.4) . Die Namen auf -bach sind nun im Vortaunus, dem Unteren Vogelsberg und dem Fulda-Haune Tafelland in der Überzahl - die -aha-Namen überwiegen nun in der Vorder- und Kuppenrhön. - burg und -dorf behaupten ihre Gebiete, während die -hausen- Namen nun in Konkurrenz zu den südlichen -heim-Namen treten. Diese mußten nicht nur den Unteren Vogelsberg an - bach abtreten, sondern auch das Marburg-Gießener Lahntal an die Namen auf -hausen. Sie konnten allerdings das Reinheimer Hügelland für sich gewinnen. Die Namen auf -hausen beginnen nun ihre machtvolle Entfaltung zunächst mit dem Marburg- Gießener Lahntal und dem Amöneburger Becken im südlichen Bereich und mit dem Waldecker Tafelland, dem Solling, Bram- und Reinhardswald sowie dem unteren Werratal im Norden.
Im zehnten Jahrhundert (Karte Nr.5) hat sich diese Entwicklung konsolidiert. Die -hausen-Namen haben nun die Westhessische Senke, die Ostwaldecker Randsenken, das Habichtswälder Bergland und die Oberhessische Schwelle ihrem Verbreitungsgebiet einverleibt. Neu treten die genitivischen Siedlungsnamen in die Landschaft. Sie haben in der Fuldaer Senke und im Sandsteinspessart die Oberhand gewonnen. Im Fulda-Werra-Bergland überwiegen im zehnten Jahrhundert die Siedlungsnamen auf -aha.
Das elfte Jahrhundert (Karte Nr.6) bringt für -bach nochmals einen Gebietszuwachs. Der Vordere Vogelsberg ist überwiegend mit solchen Siedlungsnamen versehen und ebenso ist die Situation im Sandsteinodenwald. Auch die -heim-Namen können sich noch etwas ausdehnen, indem ihre Zahl im Rheingau überwiegt. Die -hausen-Namen haben sich nun auch des Ostsauerländischen Gebirgsrandes und des Fulda-Werra- Berglandes bemächtigt. Statt im Sandsteinspessart sind die genitivischen Siedlungsnamen im elften Jahrhundert in der Vorder- und Kuppenrhön vorherrschend, das Zentrum in der Fuldaer Senke bleibt erhalten.
Am Ende des Untersuchungszeitraums, im zwölften Jahrhundert, gibt -hausen die Oberhessische Schwelle an die -rode-Namen ab, gewinnt jedoch Knüll und Homberger Bergland hinzu (Karte Nr.7). Im Waldecker Tafelland lösen nun die -ing-hausen die Vorherrschaft der -hausen ab. Die Siedlungsnamen auf -heim müssen im Reinheimer Hügelland die vorherrschende Position den Namen auf -bach überlassen, sind jedoch nun im Limburger Becken vorherrschend. Im Gladenbacher Bergland stehen den fünf -dorf-Namen jeweils fünf Namen auf -bach und auf -hausen gegenüber (in der Karte als Mischgebiet aufgeführt). Im Hohen Vogelsberg haben Namen auf -hagen die Überhand gewonnen, während die genitivischen Namen nun Sandsteinspessart, Vorder- und Kuppenrhön sowie Fuldaer Senke beherrschen.
Ähnlich wie in bezug auf die Belegzeiten der Siedlungsnamen lät sich auch im Hinblick auf die hessischen Teillandschaften und ihre Ausstattung mit typischen Siedlungsnamen eine bewertende Statistik nach der oben beschriebenen Z-Werte-Methode anfertigen. Die Einzelergebnisse sind in den Beschreibungen der Namentypen (Kapitel B) dokumentiert.
Für das zwölfte Jahrhundert entstand auf der Grundlage dieser Berechnungen eine bereinigte Karte zur Häufigkeit von Namentypen in Teillandschaften. Unter dem Titel "Kernlandschaften typischer Siedlungsnamen" (Nr.8) weist sie ausschließlich die Gebiete aus, in denen das zahlenmäige Überwiegen eines Namentyps mit seiner signifikanten Häufigkeit in dieser Landschaft zusammenfällt. Klar und deutlich treten nun die Gebietsbildungen hervor.
Die -hausen-Namen beherrschen mit ihrer Variante -inghausen den Norden Hessens. -rode behauptet die Oberhessische Schwelle, -hagen den Hohen Vogelsberg. Auch die genitivischen Namen werden in ihrer Ausdehnung im Fuldaer Raum bestätigt. Für -heim schält sich dasselbe Gebiet im Süden heraus, das schon in der Karte des achten Jahrhunderts (Nr.3) hervortrat. Die -bach-Namen sind kennzeichnend für Taunus und Odenwald.
Die oben dargelegte Übersicht der landschaftlichen Staffelung der typischen Siedlungsnamen und ihrer historischen Entfaltung in Hessen bis zum zwölften Jahrhundert mußte sich aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die großen Linien der Entwicklung beschränken. Die Einzeldarstellungen der Namentypen im Kapitel B ergänzen diese Übersicht.
{18} Eine informative Darstellung der hessischen Landschaften auf neuestem Stand bietet Pletsch (1989, S.8-73).
{19} Davon gibt es eine Ausnahme: Im Gladenbacher Bergland (320) sind im 12. Jahrhundert -bach, -hausen und -dorf mit jeweils fünf Belegen vertreten - diese Besonderheit wurde als "Mischgebiet" gekennzeichnet.